Das 2te Ich –

Ein Traumfragment von Walter Benjamin

„Heute! Galavorstellung! Reise durch das alte Jahr! Hier werden Sie eine merkwürdige Bekanntschaft machen. Sie werden einen Herren sehen, der mit Ihnen keine Ähnlichkeit hat: Ihr zweites Ich!“ Mit diesen Worten wird Krambacher am Sylvesterabend in einer zwielichtigen Gaststätte empfangen. Ein Spiel zwischen Traum und Wirklichkeit beginnt.

 Im Manuskriptmaterial Walter Benjamins zum Thema „Träume“ findet sich der Text „Das zweite Ich – eine Sylvestergeschichte“ von 1930. Es ist nicht geklärt, zu welchem Zweck Benjamin diese Geschichte verfasste. Man könnte sie auch für ein Exposé zu einem Theater Sketch oder zu einem Kurzfilm halten. Beschrieben wird ein Mann, Krambacher, der am Sylvesterabend auf der Flucht vor seiner Einsamkeit in ein zweideutiges Lokal mit einem Kaiserpanorama gerät. Dort zeigt man ihm in 12 Bildern eine Reise durch das alte Jahr. Die Bilder entpuppen sich als zwölf verpasste Chancen, vergessene Vorsätze und verdrängte Wünsche. Das zwölfte Bild endet im Dröhnen der Neujahrsglocken. Krambacher erwacht und hat sein Zimmer nie verlassen. Von einer Stimme aus dem Off eingesprochen, öffnet die Inszenierung Räume für sprachlose Begegnungen unterschiedlichster Art. Begegnungen zwischen Mensch und Figur, Original und Abbild, Realität und Traum. In einem zeitlosen Raum begegnen sich Wünsche und Erinnerungen, Ängste und Traumfantasien.

Dauer 60 Minuten - keine Pause

Premiere 28. Dezember 2018

Mit Unterstützung des Landesverbandes Freie Theater Baden-Württemberg und des Kulturamtes der Universitätsstadt Tübingen

Pressestimmen

Trugbilder einer Sylvesternacht
Das ist es, was Figurentheater schon immer besonders gut konnte. Und was Frank Soehnle zur hohen Kunst getrieben hat. Surreale Bilder heraufzubeschwören, die so viel andeuten und gleichzeitig so viel geheimnisvoll offen lassen, dass die Fantasie unweigerlich daran weiterzuarbeiten beginnt. Und die Leerstellen, das Unausgesprochene, nicht Erklärbare mit Projektionen aus der Tiefe der eigenen Psyche aufzufüllen beginnt. Zu nostalgischen Schnulzen von der Schellackplatte treibt „Krambacher“ durch die Straßen, dann wieder zu psychedelischen Klängen (Musik: Stefan Mertin). Begleitet von der unheimlichen, stockend-monotonen Stimme von Sprecher Christian Glötzner aus dem Off. In dem geheimnisvollen Varieté tut sich ein wahres Panoptikum auf. Die Revue selbst zieht alle Register. Feingliedrige Marionetten schweben durch die Lüfte (Choreografie: Karin Ould Chih): Tänzerinnen und Tänzer in Vogel- oder Pferdegestalt, halb menschlich, halb tierisch, halb erotische Verlockung, halb skelettartige Todesverheißung. Musik, Licht und Figurenspiel greifen in dieser Inszenierung immer virtuoser ineinander. Bewegliche, von der Decke hängende, halb durchsichtige Scheiben ermöglichen raffinierte Schattentheater Effekte. Das Ganze ist Spuk und Fest, unheimlich und graziös, morbid und sinnlich, Totentanz und Ballett.

GEA, 31.12.2018

Die magische Stunde im Kaiserpanorama
Die aktuelle Premiere zeigt Soehnle ganz auf der Höhe seines Könnens, als einen versierten und virtuosen Traum-Tänzer, der weiß, was er tut. Der das Publikum eine Stunde lang verzaubert, mitnimmt auf eine Reise ins Innere zum reflexiven Schlüssellochblick auf das „Zweite Ich“. Im Zwielicht der Bühne, zwischen verschmierten, verschlierten Glasscheiben, reanimiert Soehnle mit ruhigen Bewegungen eine zusammengesunken kauernde Pickelhauben-Gestalt. Soehnle, der Strippenzieher, hat in diesem halbdunklen Schattenreich alle Hände voll zu tun. Und es ist frappierend, wie er dieses Handwerk der hohen Marionettenkunst, ja man muss sagen, unfallfrei beherrscht; mit einer lässigen Leichtigkeit, die auf ihn als allein handelnden Akteur zurückwirkt. Tatsächlich, er verhält sich ganz wie ein Tänzer mit wechselnden Partnern, bleibt mit den Objekten verbunden und innig verbandelt. Soehnle nähert sich der Gegenwart des künstlerischen Figurentheaters gerne über den Abstecher in die Vergangenheit. Beschwört vergangene Zeiten mit Max Jacob oder Giacomettis Reduktion – und findet sich schließlich im Zeitlosen wieder. Manchmal nimmt er sich diesen schönen Satz von Walter Benjamin zu Herzen: „Alle großen Puppenspieler versichern, das große Geheimnis der Sache sei eigentlich, den Puppen ihren eigenen Willen zu lassen“. Ganz großes Theater im relativ kleinen, wie im Brennglas. Ein Triumph des Magischen.

Südwestpresse/Schwäbisches Tagblatt 31.12.2018

Besetzung

Figuren und Spiel Frank Soehnle
Regie Enno Podehl
Musik Stefan Mertin
Choreografie Karin Ould Chih
Assistenz Leo Wanner
Sprecher Christian Glötzner
Figurentechnik Matthias Stadler
Mitarbeit Figurenbau Helga Lázár
Mitarbeit Dramaturgie Sayeh Sirvani
Fotos Julia Pogerth

 

Zur Inszenierung

Walter Bendix Schoenflies Benjamin
(*15.07.1892 in Charlottenburg; † 26.09.1940 in Portbou)
war ein deutscher Philosoph, Kulturkritiker und Übersetzer der Werke von Honoré de Balzac, Charles Baudelaire und Marcel Proust. Als undogmatisch positionierter Denker und durch die enge Freundschaft zu u. a. Theodor W. Adorno kann er zum assoziierten Wirkungskreis der Frankfurter Schule gerechnet werden.
Philosophie habe den Blick auf die „Trümmer der Geschichte“ und die geschichtlichen Katastrophen zu lenken, auf all das, „was verraten, unterdrückt und vergessen“ wurde. Während die traditionelle Geschichtsphilosophie, zumal in der Hegelschen Gestalt ihre Antriebskraft, in der Verklärung des Untergangs hat, im Tode des Endlichen das Unendliche, Absolute feiert, ist Benjamins Gegenstand gerade das „Unzeitige, Leidvolle, Verfehlte“, mit dem Bestehen darauf, dass Geschichte immer noch in bloßer Naturgeschichte verharre.
Mit Traumberichten und traumtheoretischen Reflexionen rückt eine Seite seines Werks in den Blick, die bislang wenig Beachtung gefunden hat, die aber für sein Schreiben und Denken zentrale Bedeutung hatte.
Im Manuskriptmaterial Walter Benjamins findet sich der Text „Das zweite Ich – eine Sylvestergeschichte“ von 1930. Es ist nicht geklärt, zu welchem Zweck Benjamin diese Geschichte verfasste. Man könnte sie auch für ein Exposé zu einem Theater Sketch oder zu einem Kurzfilm halten.
Als  Kaiserpanorama  (auch Kaiser-Panorama) bezeichnet man ein um die Wende zum 20. Jahrhundert populäres Massenmedium, das es bis zu 25 Personen gleichzeitig ermöglichte, stereoskopische Bilderserien durch ein Guckloch zu betrachten. Gezeigt wurden hauptsächlich exotische und für den Normalbürger unerschwingliche Reiseziele und Landschaften. Ein Umlauf der hinter einer zylindrischen Holzvertäfelung automatisch im Kreis transportierten Bildserien dauerte eine halbe Stunde.
Das erste Kaiserpanorama eröffnete 1880 in Breslau. 1883 wurde es nach Berlin in die Kaiserpassage verlegt. Um 1910 gab es auf der Grundlage von Lizenzvergaben Filialen in etwa 250 Städten; über 100.000 stereoskopische Bilder zirkulierten in Ringleihe.
Das Kaiserpanorama fand auch mehrfach ein literarisches Echo, unter anderem bei Hermann Broch (in: Die Schlafwandler) und bei Walter Benjamin (in: Berliner Kindheit um 1900 und Einbahnstraße).

Technische Voraussetzungen

BÜHNENRAUM

  • Bühnenfläche mindestens 6 x 5 m (Breite x Tiefe)
  • ansteigende Sitzreihen für die Zuschauer
  • Bühnenraumhöhe mind. 3,10 m
  • Verdunkelbarer Raum
  • Schwarzer Bühnenboden
  • Dunkle Wände oder schwarze Vorhänge (Blackbox)
  • Abstand 1. Sitzreihe bis Bühnenkante mind. 1,5 m
  • Befestigungsmöglichkeiten an der Decke über der Bühnenfläche (siehe Bühnenplan)

TECHNIK

  • Lichtsteuerpult mit 14 Kanälen
  • 4 x 1000 Watt ETC Profilscheinwerfer
  • 8 x 500/650 Watt Fresnel
  • (3 Spezialscheinwerfer werden mitgebracht)
  • Komplette Tonanlage, Anschluss für Laptop
  • Bühnenhilfe für Auf- und Abbau
  • Garderobe für eine Person

ZEIT

  • Spieldauer 60 min
  • Aufbau 6 Stunden - Abbau 1 Stunde 

Bitte unbedingt beachten

  • Der Bühnenraum sollte vollständig verdunkelbar sein
  • Höchstzuschauerzahl 100 Personen
  • Die Vorstellung ist für Jugendliche und Erwachsene

Bitte sprechen Sie alle Abweichungen mit uns ab.

Techniker: Christian Glötzner, Tel. 0176 71297676

 ChristianGloetzner@gmx.de